Die FREIEN BAUERN, Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe, haben Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir vorgeworfen, wesentliche Teile des früheren grünen Agrarprogramms zugunsten von Kapitalinteressen aufzugeben. „Jahrzehntelang standen die Grünen für viele Bauernhöfe und gegen Agrarkonzerne“, hob Bundessprecher Alfons Wolff eine frühere Gemeinsamkeit hervor: „Als er letzte Woche durch Sachsen tourte, besuchte Özdemir zwei riesige Agrargesellschaften, obwohl in dem Bundesland mehr als 5.000 bäuerliche Familienbetriebe erfolgreich wirtschaften. Seine Vorliebe für die Großlandwirtschaft hat er vielleicht in der Ukraine entwickelt.“ Ebenfalls über Jahrzehnte konnten sich die Bauern darauf verlassen, dass ihnen die Grünen beim Widerstand gegen Gentechnik und Freihandel zur Seite stehen, erinnert Wolff an vergangene Zeiten: „Heute fabuliert Özdemir darüber, dass es angesichts von Hunger und Klimawandel keine Denkverbote gegenüber neuen gentechnischen Verfahren geben dürfe und dass das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten die Chance eröffne, Nachhaltigkeit als internationalen Standard zu etablieren.“ Die programmatische Neuausrichtung finde weitgehend unbemerkt von der Parteibasis statt, der Landwirtschaft fremd geworden sei, bedauert der 63jährige Ackerbauer aus dem sachsen-anhaltinischen Hohenthurm. Lediglich von grünen Umweltpolitikern würden vereinzelt kritische Stimmen laut, die aber nicht durchdringen. Wolff: „Es geht um mächtige Interessen, sehr viel Geld. Özdemir ist der Agrarminister der Konzerne.“
Der programmatische Schwenk des Schwaben lasse sich auch außerhalb von Betriebsbesichtigungen in der praktischen Politik nachvollziehen, etwa im Agrarbericht der Bundesregierung, der diesen Herbst veröffentlicht wird. „Die im vierjährigen Turnus erscheinende Publikation enthält das agrarpolitische Leitbild der Bundesregierung, auf das sich die gesamte Rechtsprechung zum Grundstücksverkehr bezieht – eine großartige Möglichkeit, um ortsansässige selbständige Landwirte beim Flächenerwerb ganz konkret gegen überregionale Investoren zu stärken“, erklärt Wolff. Leider wird Özdemir diese ungenutzt verstreichen lassen, denn laut Aussagen aus dem Ministerium soll als Leitbild nicht eine bäuerliche Landwirtschaft, sondern der Biolandbau verankert werden, bemängeln die FREIEN BAUERN. Wolff: „Im Klartext, es ist dem Minister gleichgültig, wenn Aldi zehntausende Hektar in Ostdeutschland aufkauft, hauptsache darauf werden Bio-Radieschen angebaut.“
Die einzige Kontinuität in der Agrarpolitik der Grünen sieht Wolff bei ständig neuen Vorschriften, mit denen ausgebildeten Landwirten haarklein vorgeschrieben wird, wie sie Landwirtschaft zu betreiben haben: „Wir dachten bereits bei Julia Klöckners Düngeverordnung und Insektenpaket, das Ende der Fahnenstange sei erreicht, aber Özdemir hat uns gelehrt, schlimmer geht immer.“ Auch die überbordenden Auflagen und Verbote bewirken, dass Bauern frustriert aufgeben, dass regionale Lebensmittelerzeugung durch Agrarimporte aus Übersee verdrängt wird und dass Flächen frei werden für das Großkapital, warnen die FREIEN BAUERN vor einem fortgesetzten Ausverkauf der Landwirtschaft. An seine Berufskollegen appelliert Wolff deshalb, solide zu wirtschaften, sich breit aufzustellen und alles zu tun, damit die Betriebe stabil bleiben: „Wir erleben eine Zeit, in der es darauf ankommt, durchzuhalten. Jammern nützt nichts, unsere Höfe haben schon ganz andere politische Verirrungen überlebt.“